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Analyse entschlüsselt Geheimnisse des Goldenen Buchs

04.11.2021

Stolz auf das gelungene Werk: Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen (von links), AKV-Präsident Werner Pfeil, Historikerin Ines Soldwisch und Georg Helg vom Rathausverein stellen das Buch über das Goldene Buch vor. Foto: Andreas Herrmann

VON SABINE ROTHER

AACHEN Im Jahr 1902 erhielt das Goldene Buch der Stadt Aachen seinen ersten Eintrag. Die AKV Sammlung Crous hat nun in einem neuen Buch eine spannende wissenschaftliche Analyse des Buchs vorgelegt.

Es ist ein Schatz, das Destillat aus 97 Jahren bewegter Geschichte, für die Aachen die Bühne bot. Ort des Geschehens: das Rathaus. Hier schlug man feierlich ein prachtvolles Buch auf, um wichtigen Gästen in einem Moment der Stille Feder oder Stift zu reichen: „Das Goldene Buch. Spiegel der Aachener Stadtgeschichte 1902-1999“ ist in der Schriftenreihe der AKV Sammlung Crous, repräsentiert durch ihren Beiratsvorsitzenden, den AKV-Präsidenten Werner Pfeil, in Kooperation mit dem Rathausverein, der Stadt Aachen und Ines Soldwisch, Dozentin am Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit der RWTH Aachen, erschienen.

Soldwisch ist es auch, die in den vergangenen drei Jahren mit rund 50 Studierenden dafür gesorgt hat, dass eine spannende Analyse der komplexen Quelle auf sicherem historischem Boden entsteht. „Eine ungewöhnliche Arbeit, besonders für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den beiden Master-Kursen“, versichert sie, als sie Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen und Georg Helg, Vertreter des Rathausvereins, die druckfrischen Exemplare überreicht.

Nach dem Start 2018 behinderten die Folgen der Corona-Pandemie die Forschung, doch aufzuhalten war das Projekt nicht. Unterstützung durch das Stadtarchiv sowie andere bundesweite Archive ermöglichten die Fortsetzung der Arbeit. Aus dem Archiv des Medienhauses Aachen schöpfte das Historiker-Team wertvolle Informationen.

Übersichtlich und abwechslungsreich durch Monika Korbanek (Agentur Mäx it) gestaltet, ist das Buch über ein ungewöhnliches Buch nicht als „Abschrift“ des Bestehenden, sondern als komplexes Zeitbild zu sehen, illustriert durch zahlreiche historische Fotografien.

Kaiser Wilhelm II. und seiner Gattin Auguste Viktoria, die beim Aachen-Besuch 1902 die ersten kostbaren Unterschriften geleistet hatten, folgten rund 1000 prominente Gäste auf 300 Seiten. Das Buch, das in Erwartung des kaiserlichen Paares im damals angesagten gotischen Stil angefertigt werden musste, hat Georg Hube aus Hamburg gestaltet, ein Experte für kunstvolle Lederarbeiten.

Am 11. Juli 1901 kam das mit blauen, in Silber gefassten Halbedelsteinen verzierte Prachtstück per Eilfrachtbrief nach Aachen – etwa acht Kilogramm schwer, 40,5 Zentimeter breit, 50 Zentimeter hoch und 14 Zentimeter dick. Das nun vorliegende Werk erinnert an die besondere Machart. Wer den Schutzumschlag entfernt, fühlt erhabene Flächen, die eine damalige Prägung nachahmen.

Bei den Inhalten sind die Aktiven tüchtig ins Schwitzen geraten, denn vielfach gibt es nicht nur eine zierliche Unterschrift, sondern gleich eine ganze Liste von Namen, die das Blatt füllen. „Wir konnten nicht alles lesen, manchmal fanden wir Ereignisse heraus und konnten Personen zuordnen, manchmal aber auch nicht“, gesteht die Herausgeberin. Von ihr und den Studierenden wurde Detektivarbeit gefordert.

„Es war aufregend, hier mit purer, gelebter Geschichte in Tuchfühlung zu kommen“, sagt die Historikerin. Aus der Fülle der Persönlichkeiten wählte man 35 „Köpfe“ oder Ereignisse aus, denen Porträts und Texte als Zeitbilder gewidmet wurden. Einige Arbeiten übernahmen Autorinnen und Autoren, die eng mit der Stadtgeschichte verbunden sind, wie der ehemalige Oberbürgermeister Jürgen Linden, Frank Pohle, Leiter der Route Charlemagne, oder Lutz Felbick, Musikwissenschaftler, Jazzpianist, Kantor und Chorleiter mit über 40-jähriger Erfahrung.

Die Auswahl ist ein unterhaltsamer Weg durch Aachen und Europa, wobei die mit dem Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen Ausgezeichneten eine besondere Rolle spielen. Das Kapitel der nationalsozialistischen Herrschaft wird nicht ausgespart. „Hitler war nie in Aachen, so gibt es auch keinen Eintrag“, betont Georg Helg.

Die Unterschrift von Hermann Göring, geleistet am 27. Juli 1933, damals preußischer Ministerpräsident, ist jedoch erhalten. „Es gab ein Hakenkreuz, das hat man aber entfernt, man sieht im Buch noch einen eingesetzten Papierstreifen“, erläutert Ines Soldwisch. In den Jahren 1940 bis 1949 blieb das Buch geschlossen.

Nicht nur geistliche Persönlichkeiten und Politiker wie Franz Josef Strauß, Jacques Delors oder Lech Walesa, auch Kulturschaffende waren repräsentative Kandidaten für das Goldene Buch, so der Architekt und Hochschullehrer Ludwig Mies van der Rohe, Dirigent Herbert von Karajan, die Kunstmäzene Peter und Irene Ludwig, Schauspieler Sir Peter Ustinov, über den Werner Pfeil persönlich schrieb, Violinist Yehudi Menuhin oder Stardirigent Zubin Metha. Neben Kongressen finden die VII. Internationalen Bachtage 1980 Beachtung. Kantor Heribert Breuer hinterließ neben seiner Unterschrift die Notenzeile mit der berühmten Tonfolge B-A-C-H.

Dennoch bleiben Geheimnisse: Wer waren sie, deren Schriftzüge man noch nicht entziffern konnte? Vielleicht eine Frage an die nächsten Historiker. Das erste Goldene Buch lagert im Stadtarchiv und ist bis zur letzten Seite beschrieben. Das aktuelle Exemplar findet man im Rathaus, wo es der Rathausverein sicher verwahrt. Bis zum nächsten Prominenten.

Mit freundlicher Unterstützung der Aachener-Zeitung

Quelle: Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten